Zu
Konzeption und Bau der Orgel
In gleicher Weise, in der
sich Kirchenräume unterscheiden, unterscheiden sich Orgelinstrumente.
Geht man dem Orgelgebilde jedoch auf den Grund, zeigt sich das immer wiederkehrende
Prinzip: Ein künstlich erzeugter Wind, der über eine durch den
Organisten gesteuerte technische Anlage zu den Pfeifen geführt wird.
Und an diesem Prinzip üben sich Orgelbauer und Organisten seit mehr
als zweitausend Jahren. Die technische Anlage, die zwischen dem eigentlich
klanggebenden Instrument, den Flöten oder Pfeifen, und dem Orgelspieler
steht, war Voraussetzung und Anstoß, das Instrument, von nicht einmal
mannshohen Anfängen bis ins Überdimensionale wachsen zu lassen.
Es gibt keinen Zweifel daran,
dass die Orgelbaugeschichte im 17ten und 18ten Jahrhundert einen grandiosen
Höhepunkt und eine Blüte erlebte, mit herrlichen Instrumenten,
an denen wir heute noch ungeschmälerte Freude haben. Die Geschichte
lässt sich aber nicht aufhalten und auch die Orgel unterliegt dem
Wandel der Zeit.
Die technische Anlage einer
Orgel appelliert an den Erfindergeist, und es gibt heute keinen Wunsch
an die Größe einer Orgel und die Vielzahl ihrer Register, der,
sofern Räumlichkeit und Mittel vorhanden sind, nicht erfüllt
werden könnte. Dies allerdings nur zu dem Preis, dass der Orgelspieler
mehr und mehr zu einem Bediener von Schaltern wird und immer weniger die
Ton- und Registerventile selbst und unmittelbar bewegt. Die physikalische
Entfernung zwischen Spieler und klanggebendem Pfeifenwerk verliert an Direktheit
und Nähe. Die große romantische und sinfonische Orgel setzt
zur spielerischen Bewältigung des Instruments pneumatische, elektrische
und elektronische Kraftverstärker und Speichergeräte ein, welche
die Orgeltechnik in den Vordergrund treten lassen. Die handwerkliche Ästhetik,
welche bei einem klassischen, akustischen Musikinstrument zu erwarten ist,
muss zurücktreten.
Eine fortschreitende Technisierung
der Orgel setzt in der Mitte des 19ten Jahrhunderts euphorisch ein. Anfängliche
Erfindungen im Orgelbau tauchen später im Maschinenbau wieder auf
(Pneumatik). Heute finden wir im Orgelbau Datenspeicher der Computerindustrie.
Unsere Arbeit in der Seitzentaler
Werkstatt zielt auf ein Gleichgewicht zwischen äußerem Orgelbild,
angemessener, mechanischer Steuerung und dem Wohlklang dienender Orgelakustik.
Wir bauen die Orgel ihres Klanges wegen, als Musikinstrument, nicht als
Skulptur und auch nicht als Maschine zur Krafteinsparung und Datenspeicherung.
Das hochwertige, akustische Musikinstrument kommt immer vom Handwerksmeister.
Nur der stets kontrollierte Handgriff führt zum optimalen Klang. Der
Klang und die sichere, dauerhafte Funktion haben immer Vorrang.
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Sie
bestimmen die Pfeifenaufstellung im Orgelinneren, auch im Orgelprospekt,
aber auch die Windanlage, also die Konstellation Balg – Windführung
– Windladen. Bei der Gestaltung des Orgelentwurfs und der baulichen Details
spielen die Materialwahl und die handwerkliche Ästhetik eine wichtige
Rolle. Aus diesem Geist heraus wurde auch die neue Orgel für die Marktkirche
in Hamburg–Poppenbüttel gebaut.
Die klassische Orgelanlage
im 18. Jahrhundert, wie sie auch nach 1945 vielerorts wieder angestrebt
und verwirklicht wurde, zeigt einen klaren "Werkaufbau": Brustwerk, Hauptwerk,
Oberwerk, vielleicht auch ein Rückpositiv und freistehende Pedaltürme,
auch bekannt als "Hamburger Prospekt". Diese Anlage setzt für die
Orgel eine Raumhöhe über der Orgelempore von mindestens 9 m voraus.
In der Marktkirche Poppenbüttel stehen der Orgel dort aber nur 5,40
m zur Verfügung, weshalb hier die Werke nicht übereinander, sondern
hintereinander aufgebaut sind. Lediglich für die Pedaltürme ist
ausreichend Raumbreite vorhanden. So verleihen die freistehenden Pedaltürme
der Poppenbüttler Orgelansicht "Hamburger Prospektmanier". Die Manualwerke
in der oben aufgeführten Disposition kann man so definieren: I. Manual
gleich Hauptwerk im mittleren, fünfgliedrigen Gehäuse. II. Manual
gleich Oberwerk im gleichen Gehäuse (auf durchschobener Windlade).
III Manual gleich Schwellwerk mit Jalousieschweller. Das Gehäuse des
Schwellwerks lässt sich mit zwei Handgriffen links und rechts öffnen,
wodurch es zu einem direkt klingenden Positiv wird.
In der Disposition ist noch ein IV.
Manualwerk aufgeführt, ein Hochdruckwerk, welches an das III. Manual
gekoppelt werden kann. Über den Bälgen hinter der Orgel aufgebaut,
ist es mit zwei dynamischen Hochdruckregistern ausgestattet, deren Winddruck
über einen separaten Schwelltritt von 0 bis 300 mmWS verändert
werden kann, ein Novum im Orgelbau, worüber demnächst in der
Fachpresse berichtet wird.
Für die Herstellung aller Einzelteile
der neuen Marktkirchenorgel (die mit insgesamt 2.072 Pfeifen ausgestattet
ist) wurden ausschließlich natürliche Materialien verwendet,
wie Eichenholz aus dem Schönbuch für das Gehäuse, die Windladen,
die Mechanik einschließlich der Tasten, die Bälge und für
Holzpfeifen, Fichtenholz für den Violon 16’ und für die Abstrakten,
Buchsbaum und Ebenholz für die Manualtastenbeläge, Schafsleder
für den Balg und für Ventildichtungen, Zinn und Blei für
die Metallpfeifen und verschiedene Halbzeuge wie Darmsaiten, Draht und
Schrauben von Messing, Vierkant-Eisenrohr für Mechanikwellen, Ledermuttern,
Tuche, Filze und manches andere. Sie wurde in unsrer Seitzentaler Werkstatt
von den Orgelbauern Mathias Jung, Manfred Zeller, Hans-Peter Eckert, Tobias
Merkle, Tudor Roberts, Thomas Dehmel, Winfried Kirchfeld, Sebald Endner,
Alexander Seyfried und Johannes Rohlf in rund 10.570 Arbeitsstunden gebaut.
Elisabeth Rohlf pflegte mit offenem Haus und Zuwendung im Gespräch
den Kontakt nach außen.
Das Orgelprojekt wurde vom Vorsitzenden
des Orgelbauvereins der Marktkirche Poppenbüttel, Herrn Klaus Sommerfeldt,
finanztechnisch geplant und vorangebracht und durch die Kirchenmusiker
der Gemeinde, Herrn KMD Michael Kriener und Frau Renate Sternel fachkundig
begleitet. Herr Hans-Jürgen Wulf, Kirchenmusiker in Niendorf, stellt
als Orgelsachverständiger die Verbindung zur Nordelbischen Landeskirche
her.
Wir sind der Ev.-Luth.
Kirchengemeinde Poppenbüttel dankbar und verbunden für das
in uns gesetzte Vertrauen und wünschen sehr, daß die
neue Orgel im kirchenmusikalischen Leben der Marktkirchengemeinde ganz
selbstverständlich ihren Platz findet, gern zum Klingen gebracht wird
und den Gottesdienst, die Liturgie und das Kirchenkonzert prächtig
bereichert.
Johannes Rohlf, September
2006
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