Das Portativ, aus der
Sicht des Orgelbauers
Nach allem, was uns durch
Überlieferung bekannt ist, war bereits die erste Orgel, welche im
dritten vorchristlichen Jahrhundert gebaut wurde und viele nachfolgende
Orgelinstrumente ebenso, mit einer Lunge, einem hydraulischen oder pneumatischen
Balgsystem ausgestattet, welche und welches dazu geeignet war, unendlichen
Atem, Wind ohne Unterbrechung bereitzustellen. Wenn man diese Instrumente
durch ihre Pfeifenanzahl auch mit dem Portativ vergleichen kann, so war
deren musikalische Aufgabe von der des Portativs deutlich unterschieden.
Dieses klassische Orgelprinzip,
wie es bereits in der Erfindung des Ktesibios verwirklicht wurde, nimmt
dem Spieler die Flöte aus der Hand und aus dem Mund, stellt sie auf
eine Maschine, durch welche sie aus gewisser Entfernung heraus, meistens
sogar von mehreren Instrumentalisten, Bälgetretern und Tastenspielern
betätigt wird.
Nur begrenzte Möglichkeiten
der Beeinflussung des Einschwingens eines Flötentones bleiben dem
Orgelspieler gegenüber dem Portativspieler. Er kann bestenfalls über
die Art des Ventilöffnens den Einschwingvorgang der Pfeife formen,
denn der anstehende Winddruck ist ihm vorgegeben.
Diese maschinenartige Seite
der Orgel ist es, welche die Entfernung zwischen Spieler und Instrument
produziert und lautlos nach immer mehr Technik verlangt. Das Instrument
gerät in Gefahr, zum leblosen Befehlsempfänger zu werden und
der Musiker zum Maschinisten.
Beim Portativ wird das Orgelprinzip
in einer Weise verändert und eigentlich weitergeführt, weil es
dem Spieler eine Voraussetzung für ausdrucksvolle Tongebung einräumt.
Durch Verkleinerung der Anlage bekommt die Orgel menschliche Maße
und kann nun von einer einzigen Person gespielt werden. Der Portativspieler
bekommt den Wind nicht durch den Bälgetreter oder einen Ventilator
vorgesetzt, sondern er erzeugt ihn mit eigener Muskelkraft. Diese Tatsache
des gestalteten Aussendens des Windes durch den Spieler verschafft diesem
Instrument eine eigene Qualität und verfeinert den Gedanken, eine
Pfeifenreihe mittels künstlichem Wind anzublasen. Somit rückt
das Portativ von der klassischen Orgel weg und hat nur noch geringe Gemeinsamkeiten
mit ihr.
Wie die menschliche Lunge,
arbeitet es mit begrenztem Luftvolumen, es hat begrenzten Atem. Eine musikalische
Linie, welche das Portativ übernimmt, muß wie bei anderen Blasinstrumenten,
endlich sein. Es werden Zäsuren zum Atmen, zum Wind schöpfen,
benötigt. Dafür hat der Portativspieler den Wind in der Hand,
wie der Streicher den Bogen.
Der Portativspieler ist
absoluter Herr des Winddrucks, des Balges und der Tasten. Er kann der Pfeife
den Windweg öffnen und sozusagen allein vom Zwerchfell her, nur mit
der Bewegung der Balgplatte die Tonbildung steuern, oder völlig entgegengesetzt
zuerst den höchsten Winddruck aufbauen, den seine Muskelkraft ermöglicht
und durch Aufschnellen des Ventils den Ton explosionsartig anspringen lassen.
Zwischen diesen beiden Extremen liegt eine Palette von Gestaltungsmöglichkeiten,
wie sie auch ein Blockflötenspieler einsetzt. Der Preis, den er für
diesen Vorzug zahlen muß, liegt darin, daß er für die
Betätigung der Tasten nur eine Hand zur Verfügung hat und daß
er mit dem Wind ähnlich haushalten muß wie ein Bläser.
Gewonnen ist die unmittelbare Nähe zwischen Instrument und Ausdruckswillen
des Spielers.
Das Portativ wird tragenderweise
gespielt und vom Musiker mitgeführt, weshalb Maße und Gewicht
auf den Spieler zugeschnitten sein müssen.
Tiefe Töne und große
Pfeifenzahl bedeuten große Maße und viel Gewicht, hohe Töne
und kleine Pfeifenzahl kleine Maße und Leichtigkeit. Mit einer bewußten
Begrenzung im Blick auf die Größe des Portativs, durch den Verzicht
auf großen Tonumfang, werden also Beweglichkeit und Praktikabilität
gewonnen. Darin mag der Grund dafür liegen, daß die vielen überlieferten
Abbildungen von Portativen keine Normierung erkennen läßt. Jedes
Instrument scheint individuell für den bestimmten Spieler und seine
spezielle Aufgabe gebaut zu sein.
Jedenfalls verhält
es sich so auch mit dem Instrument von Christoph
Deslignes, welches in unserer Werkstatt entstand. Herr Deslignes hatte
eine dezidierte Vorstellung von der Tonlage und dem Tonumfang seines Portativs:
26 Tasten oder Töne von F bis f´/g´, F klingt wie Gis.
Diese Ausstattung führt zu relativ großen Maßen, Höhe
entsprechend der Länge einer Baßblockflöte in F, welche
für einen Portativspieler eine gewisse Körpergröße
voraussetzt.
Um eine große Balgfläche
zu erreichen, sprechen alle Pfeifen noch vorn, in Richtung der Tasten.
Das wird möglich, wenn die vordere der beiden Pfeifenreihen um die
Fußlänge der hinteren Pfeifen erhöht aufgestellt ist. Dann
können die hinteren Pfeifen durch die Fußspitzen der vorderen
hindurchsprechen. Für den Balg steht so die Fläche zur Verfügung,
die durch die Breite des Instruments und die Höhe von Unterkante bis
oberes Ende der kleinsten Pfeife gegeben ist. Der Balg war ursprünglich
mit 5 Falten, 35 mm breit, ausgestattet und wurde später zur Erhöhung
des Windvolumens um zwei Falten vergrößert.
Diese vorgegebenen Abmessungen
verlangten eine das Gesamtgewicht berücksichtigende Materialwahl:
hochprozentiges, nicht zu dickwandiges Zinn bei den Pfeifen und Lindenholz
für die Windlade und die Pfeifenraster. Die Tasten als rechteckige
Druckknöpfe sind von Mooreiche. In den seitlichen Wangen sind Durchbrechungen
in Fischblasenform eingearbeitet.
Johannes Rohlf
|