Themen in der Werkstatt ROHLF
Jeder Raum sucht (s)einen Klang
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Jeder Raum sucht (s)einen Klang

veröffentlicht in der Zeitschrift "organ - Journal für die Orgel" Ausgabe 1/2007

War und ist es das sinnfällige Demonstrieren von Machtansprüchen, der funktionale Dienst an der Liturgie oder schlicht die Freude am Klangerlebnis, dass die Orgel als das Kultinstrument des abendländisch-christlichen Kulturkreises in unsere prächtigen Kirchenräume gelangte? Die Kulturgeschichte der Orgel ist jedenfalls seit frühester Zeit eng verknüpft mit der Geschichte der bedeutendsten Kathedralen, Klöster und großen Stadtkirchen des Abendlandes. Die Orgel ist zwar nicht in diese Räume hinein geboren, doch sie ist in ihnen gewissermaßen aufgewachsen und „groß“ geworden. Für die Ausprägung der westlichen Liturgie wurde das Instrument zentral und unverzichtbar und entfaltete darüber hinaus durch die treffliche Kunst talentierter Orgelspieler ein künstlerisches Eigenleben und schließlich eine eigene grandiose Entwicklungsgeschichte.

Seit dem Mittelalter gibt es bedeutende Orgelbauten und mit fortschreitender Zeit einen wachsenden Fundes an überlieferter hochwertiger Orgelliteratur, die immer kunstvoller interpretiert wird. Die Geschichte der Kirchenbaukunst und die Geschichte der Orgelmusik sind innerhalb von fast 2000 Jahren Christentum zu einem durch die westliche christliche Religionskultur getragenen Kulturgut verschmolzen, so dass wir nun im 21. Jahrhundert in der Trias „Singuläres christliches Ideengut – singuläre Sakralarchitektur – singuläre Orgelmusikkultur“ als einen phänomenalen Schatz besitzen.

Vom „beglückenden“ Hören

Um Musik genussvoll sinnlich erfahren zu können, muss ein bestimmtes Instrumentarium in einem ihm adäquat bemessenen und gestalteten akustischen Raum (Klangrahmen) erklingen. Es ist für jede musikalische Darbietung eine hermeneutische Kernfrage, womit für welchen Kreis an Hörern in welcher Umgebung musiziert wird. Eine Vielzahl an höchst komplexen physikalisch-akustischen, aber auch soziologischen und psychologischen Parametern entscheidet einerseits über Klangentwicklung und Durchhörbarkeit (Transparenz), andererseits aber auch über die Freude eines subjektiv als genussvoll empfundenen Hörerlebnisses.

Beglückendes Hören kann innerhalb sehr unterschiedlicher Bedingungen erlebt werden. Geht es um das Musizieren zur eigenen, ganz privaten Freude am häuslichen Clavichord, um die Darbietung eines Streichquartetts in der Aula eines Gymnasiums etwa zur Abiturfeier, um ein Kammerorchester im historischen Ratssaal einer Kleinstadt oder das große, professionelle Sinfonieorchester in der großstädtischen Philharmonie? Der jeweils ideale räumliche Rahmen für diese recht unterschiedlichen musikalischen Darbietungen sieht jeweils ganz anders aus.

Nun fehlt der großen Pfeifenorgel weitgehend eine verbindliche Normierung, wie sie bei fast allen anderen Musikinstrumenten existiert. Orgelklang und Orgelklang sind nicht – eigentlich nie! – dasselbe. Auch Orgeln gleicher Größe und ähnlicher Bauart können sich gleichwohl dramatisch in ihrem Klang unterscheiden, während dies etwa für den Geigen-, Oboen- oder Klavierklang in weitaus geringerem Maße gilt. Nicht jede instrumentale Ensemble-Besetzung ist für jeden Raum günstig oder ratsam, wie auch nicht jedes Orgeldispositions-Modell für jeden Raum das richtige ist. Ein und dieselbe Disposition kann in dem einen Raum traumhaft berückende Klangwirkungen ermöglichen, in einem anderen jedoch problematisch und unbefriedigende Resultate erbringen.

Die Hörerfahrung wird physikalisch geformt durch den Frequenz- und den Schallpegelbereich, durch die individuelle Ausformung und die dynamische Charakteristik der Schallquelle, durch die Größe des Raums und sein charakteristisches Absorptions- bzw. Reflexionsverhalten. Dazu kommen weitere Aspekte wie die spezifische Bauart und die Materialien der ihn bildenden Reflexionsflächen, Zahl und Beschaffenheit der sekundären Einbauten – und nicht zuletzt die Zahl der Hörer und deren Entfernung zur Schallquelle. Zwar gibt es eine beachtliche Bandbreite an möglichen Gestaltungsvarianten. Geht es aber um glückliche, stabile Verhältnisse, ist bei weitem nicht alles Machbare auch gut und ratsam.

Ein Raum sucht „seine“ Orgel

Sofern es sich nicht gerade um ein transportables Positiv oder eine Kleinorgel handelt, ist die Orgel als „Immobilie“ per se unverrückbar in die Architektur des Innenraums integriert und tritt allein ihrer Größe wegen in einen optischen Dialog mit den Proportionen und der Gliederung der innenarchitektonischen Gestaltungselemente des Aufstellungsraums – oft sogar als visueller Gegenpol zum Altar. Der Orgelprospekt oder Orgelschrein kann vollständig in die Raumarchitektur einbezogen oder im anderen Extrem ein eigenständiges Gebilde ohne Bezug auf die ihn umgebende Gestaltung sein. Er kann sich gestalterischen Belangen des Architekten vollständig unterordnen oder ganz aus autonomen akustischen Erfordernissen heraus entwickelt sein, die im Zusammenhang mit der Raumakustik vom Instrument selbst diktiert sind.1

Selten werden Raum und Orgel – was eigentlich den Idealfall darstellen würde – gemeinsam geplant und vom ersten Planungsbeginn an aufeinander abgestimmt. In aller Regel ist der Raum als invariante Planungsgröße längst vorgegeben, bevor ihm dann sekundär eine Orgel „angemessen“ wird. Mit der Planung einer neuen Orgel entsteht eine essenzielle Verbindung von Raum und Instrument, von Auge und Ohr, eine architektonische und akustische Symbiose, die aber nur dann von stabiler Dauer sein wird, wenn sie in jedem Einzelaspekt ihrer Beziehung zueinander „glücklich“ ist.

Der Raum ist bereits da und sucht (s)einen (musikalischen) Partner. Worum geht es? Es geht wohl kaum darum, dass der Architekt, der Orgelsachverständige,  der Orgelbauer,  der Kirchenmusiker, der Pfarrer, der Kirchenvorstand oder Pfarrgemeinderat etc. als Bauherr, sich selbst bzw. seinen Eitelkeiten ein Denkmal setzt, obwohl es auch dies bekanntlich immer gegeben hat – und noch immer gibt; wir alle kennen einschlägige Beispiele: Orgelneubauten als reines Repräsentations- und Prestigeobjekt, als Statussymbol zur Demonstration von Macht, Herrschaft, Finanzkraft und gesellschaftlichem Anspruch.

Geht es uns indessen um eine wirklich auf Dauer befriedigende und tragfähige Verbindung von Raum und Orgel, müssen alle persönlichen Eitelkeiten und aus einer wie auch immer gearteten Mode geborenen Vorstellungen zurückstehen. Wir leben, Gott sei Dank, unter den extrem toleranten Bedingungen eines heute schier grenzenlosen Stilpluralismus, der nicht nur avantgardistische Klänge und Kompositionen gelten lässt, sondern sich zugleich an den Werten längst vergangener, zum Teil archaisch anmutender Stilepochen erfreuen und bilden kann. Die Postmoderne darf heute erstmals in der rund tausendjährigen christlichen Musikgeschichte weit zurück und ebenso nach vorn in die Zukunft schauen. Diese beherzt doppelte Blickrichtung ist gleichfalls zentral für die Lösung der augenblicklich gestellten Aufgabe eines gültig gestalteten Raum-Klang-Ensembles.

Eine neue Orgel – für wen, für was?

Im Regelfall entsteht ein Orgelneubau zunächst noch immer für den musikalischen Dienst in der gottesdienstlichen Liturgie, wo er vorab die Gemeinde oder einen oder mehrere Vokalsolisten begleitet oder zu den freien und cantus firmus-gebundenen Vor- und Nachspielen erklingt. Diese einfachen, klar strukturierten und abgrenzbaren Aufgaben kann – zumal bei stetig schrumpfenden Gemeindezahlen – bereits ein Positiv gut erfüllen; als Instrument für den festlich ausgeschmückten größeren Gottesdienst und das anspruchsvolle Orgelkonzert taugt es jedoch nicht mehr. Im ersten Blick auf das Wesen der Orgel sollte man meinen, dass es eigentlich so eine Art Universalinstrument geben müsste, das alle möglichen Bedürfnisse und stilistische Orgeltypen funktional in sich vereinigt. Aber selbst dann, wenn in der groß dimensionierten romantisch-sinfonischen Disposition auch etliche Register einer Barockorgel vertreten sind, kann die einzelne Stimme, die dann „irgendwo“zwischen zahllosen Pfeifenreihen positioniert ist, nie die charakteristische Präsenz erreichen, die intime Direktheit entfalten, die eben ganz selbstverständlich für ein wesentlich kompakter und übersichtlicher strukturiertes Barockinstrument des 17. oder 18. Jahrhunderts ist.

Im Idealfall entsteht eine neue Orgel und ihr musikalisches Konzept, also ihre Disposition, aus den örtlichen Gegebenheiten heraus, mit den „Werkmaßen“ und der vorfindlichen akustischen Charakteristik des Aufstellungsraums. Indem ich akzeptiere, die künftig an einem bestimmten Ort erklingende Orgelliteratur dem Instrument entsprechend spezifisch auszuwählen, oft auch bei manchem schmerzlichen persönlichen Verzicht, kann jede neue Orgelgestaltung der ästhetischen Aussage einer vorgegebenen innenarchitektonischen Struktur gerecht werden. Und lässt diese am Ende im Extremfall etwa gar keinen „autonomen“ sichtbaren Orgelkorpus zu, dann müsste sie eben im Boden versenkt werden (z. B. das Chorpositiv der Klosterkirche Mönchsdeggingen). Der musikalische Gewinn hierbei ist die Aufforderung, sich der Literatur zuzuwenden, an die sonst gar nicht gedacht wird.

Der Orgelbauer wird in aller Regel wohl nur recht unvollkommen nachvollziehen können, was es bedeutet, Max Regers Symphonische Phantasie und Fuge in d-Moll (Inferno) als Spieler im Studium unter viel Mühen und Schweiß hart erarbeitet zu haben, um sie dann auf der eigenen Orgel mangels Klangmasse niemals aufführen zu können. Eher leidet er darunter, Sweelincks Chromatische Fantasie in d „gleichstufig“ interpretiert hören zu müssen. Welche paradiesische Freude, wenn ein Organist heute in seinem Amtsbereich sowohl eine gute„mitteltönige“ wie eine „barocke“ als auch eine große romantische Orgel vorfindet.

An den meisten Orten muss jedoch mit einer einzigen Orgel auskömmlich gearbeitet werden, und vielerorts ist schlicht der Raum zu klein, um einer großen sinfonischen Orgel ausreichend Grundfläche, Höhe und Weite für den orchestralen Klang zu bieten.

Weniger ist oftmals mehr

Immer wieder bedarf es folglich ganz besonderer Anstrengungen und Überlegungen, wenn die orgelbauliche Verantwortung erkannt und wahrgenommen wird und es gelingt, Raum und Orgelinstrument in der richtigen Balance zusammenzuführen. Die Zufriedenheit über ein Ergebnis setzt voraus, dass der nicht an der Planung beteiligte Orgelspieler die musikalische Aussage des Instruments (an-) erkennt, auch wenn es nicht nach seiner persönlichen Idealvorstellung ausgestattet ist. Immer und überall können an jedem noch so begründeten Orgelkonzept bekanntlich darüber hinausgehende Wünsche angebracht werden: „…Hätte man nicht wenigstens noch dieses und jenes Register bauen sollen …?“ Die Orgel lässt Normierungen, wie oben bereits gesagt, aus gutem Grund nicht zu, und eine konkret realisierte, schlüssige Disposition hätte potenziell stets auch noch ganz anders aussehen können. Wie in einem schweizerischen Volkslied hört der erfahrene Orgelbauer deshalb: „Was ich will, das hab’ ich nicht, was ich hab’, das will ich nicht!“

Sehr viele Orgeln gehen im Übrigen erst durch fortgesetzte Umbauten (musikalisch) zu Grunde, die durch Blindheit und Nichterkennen der originären Konzeption ausgelöst wurden. Andere Auslöser für Umbauten sind sich aggressiv etablierende, per se intolerante Moden oder auch die verhängnisvolle Fehleinschätzung akustischer Phänomene, wenn z. B. eine Orgel in der Registerzahl erweitert wird, weil ihr Klang den Raum nicht füllt und dabei von verantwortlichen Laien nicht bedacht wird, dass 50 Dezibel plus 50 Dezibel eben nicht automatisch schon 100 Dezibel ergeben, sondern nur häufig geringfügig mehr, bei gleichzeitig in Kauf genommener Verschleierung des Klangbilds; im Extremfall können Hinzufügungen bei der Pfeifenorgel klanglich sogar ein „Weniger“ bedeuten – auch dafür gibt es unrühmliche Beispiele. Mit zusätzlichen Registern wird die Zahl der Schattierungsmöglichkeiten vergrößert, allerdings auch die Absorptionskraft des Pfeifenwerks, von unerwünschten Interferenzerscheinungen einmal gar nicht zu reden.

Wie in der bildenden Kunst sparsamer Einsatz von Gestaltungsmitteln eine Aussage verstärkt, so kann auch der sparsame, mithin intelligente selektive Einsatz von Orgelregistern die Charakteristik eines Instruments in besonderem Maße steigern. Bei der Planung eines jeden neuen Orgelprojekts steht also die Verantwortung im Raum, immer alles mitzubedenken, was heißen muss, die Orgelgröße nicht blind dem Prestige und dem Geldbeutel des Sponsors anzupassen, sondern ihrer künftigen räumlichen und akustischen Umgebung. Und es gibt keinen Grund, sich angesichts des grenzenlosen Reichtums anspruchsvoller europäischer Orgelliteratur im Einzelfall vor einer geringeren Registerzahl und einem niedrigeren Winddruck zu fürchten.

Eine Orgel für den Konzertsaal

Solange die große romantische bzw. sinfonische Orgel noch nicht existierte, verlangte der weite, für den großen Klang prädestinierte Raum einer stattlichen Kathedrale geradezu nach ihr. Sie bietet in ihrer baulich-architektonischen Weite und Vielfalt nachgerade jedem Orgeltyp einen angemessenen Ort: An das Positiv muss man nahe herantreten, um es in seiner kammermusikalischen Intimität deutlich wahrzunehmen; die Schwalbennest-Orgel an der zentralen nördlichen Langhauswand wird durch die günstigen Reflexionen der Gewölbe vom Volk und über die gegenüberliegende Langhauswand auch bestens vom Orgelspieler gehört; die Chororgel beschallt ähnlich partiell wie die Langhausorgel das Geschehen um den Altar im Hochchor, und die große Hauptorgel auf der Westempore darf alle Kraft entwickeln, um in jeden Winkel einer Kathedrale hineinzutönen etc.

Und die Orgel im Konzertsaal? Die im Verlauf der Musikgeschichte einsetzende Autonomisierung der Kirchenmusik und Orgelkultur ließ im Zuge der Verbürgerlichung des Musikwesens und der damit verbundenen Säkularisation auch die Orgel in den Konzertsaal einziehen. Den Reichtum und die Existenzkraft von Kompositionen, die ganz klar aus dem christlichen Geist heraus für die Liturgie geschaffen wurden, wollte man nicht mehr an den sakralen Raum gebunden wissen. Weshalb aber ist in den meisten bekannten Fällen der Orgelklang im Konzertsaal so wenig befriedigend und so wenig erwünscht? Wie viele prächtig gestaltete Konzertinstrumente stehen weltweit in den philharmonischen Sälen – reine Orgelkonzerte aber finden, wenigstens in unseren Breitengraden, nach wie vor zum ganz überwiegenden Teil in den Kirchen statt. In vielen Konzertsälen bilden die Orgelprospekte seit Jahr und Tag lediglich die traurige Kulisse für allerlei kulturelle Groß- und Galaveranstaltungen usw.

Aus meiner Sicht liegt dieses Phänomen jedoch letztendlich in der unglücklichen Begegnung von gewollter, trockener Konzertsaalakustik (akustische Studiobedingungen) und maschinenartig präziser Einschwingung und Beendigung eines „sterilen“ Orgelplenums begründet. Oft ist es nur leid- und schmerzvoll zu ertragen, im Konzertsaal die Übergänge von der Stille zum Orgelplenum und genauso vom Tuttiklang zur Stille mitzuerleben. Die Präzision des Einschwingvorgangs und des Ausschwingens eines großen Schallpegels wird durch die spezifischen Ansprüche an die Konzertsaalakustik direkt und ohne Streuung übermittelt. Es ist für das Auftreten des lautstarken Schallpegels ein großer Unterschied, ob dieser durch ein einziges Instrument mit statischer Tongebung, gespielt von einer einzigen Person, oder durch den Apparat eines hundertköpfigen Orchesters mit je individueller Tongebung evoziert wird. Gerade das Sich-Aufbauen eines Schallereignisses ist für unser Gehör ein spektakuläres sinnliches Ereignis in sich, über die Maßen zur Beurteilung der Klangqualität entscheidend; denn das Gehör bzw. menschliche Gehirn erkennt im Zeitraum einer einzigen Sekunde 16 zeitliche Abschnitte und behält diese zehn Sekunden lang im humanen Wahrnehmungsgedächtnis (siehe Grafik).2

Grafik zum Einschwingvorgang
Die Konzertsaalakustik ist für das Sinfonieorchester oder den großen sinfonischen Chor gerade richtig, denn Orchester wie Chor schaffen allein durch die gesplittete Art des Schallerzeugers in Bruchteilen einer Sekunde Übergänge beim Aufbau einer großen Pegelzahl, die das Gehör nachvollziehen kann. Das gelingt dem Gehör aber nicht beim Einsetzen eines Tuttiklangs einer großen und lautstarken Orgel. Dieses Klangerlebnis, das in einer Kirchenakustik mit gewisser Hallzeitgerade aufgrund der Präzision und Statik des Klangs prächtig klingt, bleibt im Konzertsaal unbefriedigend stumpf und steril.

Die der Raumakustik angemessene Konzertsaalorgel muss deshalb ein Instrument sein, das wie ein Saiteninstrument, wie ein Klavier, wie ein Streichquartett kammermusikalisch aus sich selbst heraus klingt, das des Raums zur Klangveredelung gar nicht bedarf. Es muss niedrigen Winddruck haben, wie eine italienische Orgel, und das Pfeifenwerk und die ganze technische Ausstattung der Orgel muss von vornherein auf „Klingen“ eingestellt sein. Die Töne müssen leicht und locker, angeregt durch einen Windhauch, aus dem Instrument mit selbstverständlicher Gebärde herausfließen. Die besondere Aufmerksamkeit bei der Planung und dem Bau des Instruments muss dem Pfeifenwerk gelten. Auch das hochwertige Orchesterinstrument wird ja unter meisterlicher Kontrolle gebaut. Jedes geringste Detail der Klangentstehung und des stationären Klangs nimmt unser Gehör wahr und empfindet Genuss oder spontane Enttäuschung. Dabei kann der Klang prächtig sein, darf aber in der Lautstärke des Schalls sicher nicht die Pegelzahl des Kammerorchester-Tuttis überschreiten.

Für die Existenz der kleineren Renaissance- oder Barockorgel im großen Konzertsaal gibt es meines Wissens kein Beispiel. Wer endlich den Mut aufbringt, eine hochwertige kammermusikalisch gestaltete Orgel im Konzertsaal mit seiner „intimen“ Akustik zu bauen, in der man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hört, wird vom überzeugenden klanglichen Ergebnis überrascht sein. Wir sehen, dass optische Orgelästhetik in die Leere führen kann, denn bei einem Musikinstrument geht es primär um den bewussten Umgang mit unserem Hör-Organ.
 

Johannes Rohlf

 
 

1 vgl. Thomas Lipsky: „Konzertsaalorgeln in Deutschland bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihre architektonische Einbindung in den Konzertsaal“ und Holger  Brülls: „Der Orgelbau des 20. Jahrhunderts und die Architekturdoktrin von Moderne und Postmoderne. Architekturhistorische und planungstheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Orgel und Raum“, beide in: Acta Organologica, Band 28 (2004).
2 Ernst Kern (Chirurg und Neurologe in Würzburg): „Rückkopplungsphänomene zwischen Musiker und Musikinstrument“, in: Nova Acta Leopoldina 206, Band 37/1 (1972).

 
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